Für vier Tage Sozialist
Videos von den Lesungen und weitere Informationen rund um „Jugend und Parlament 2013“ gibt es im Internet unter http://www.mitmischen.de/diskutieren/topthemen/jup2013/index.jsp
Ein Chemiker mittleren Alters aus Oranienburg, Michael Küfer nennt er sich, ist aus Frust über Arbeitsplatzverluste nach der Wende in die Partei der Sozialen Gerechtigkeit, kurz PSG, eingetreten und sitzt seit 2005 für sie im Bundestag. Das Problem an der ganzen Sache: Weder Küfer noch seine Partei existieren in der Realität. Und doch ist die PSG die viertgrößte Fraktion in der Legislative: Im bundesweiten Planspiel „Jugend und Parlament“ des Deutschen Bundestags. Ausgerechnet der konservative JU-Vorsitzende aus Fellbach, Stefan Hämmerle, durfte (musste) in die Rolle des Sozialisten aus dem Osten schlüpfen. Hämmerle wurde von Dr. Joachim Pfeiffer angefragt, ob er am Planspiel im Berliner Reichstag teilnehmen wolle. Vom 1. – 4. Juni war der 16-jährige Schüler des GSG in der Hauptstadt Michael Küfer. 312 Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik zwischen 16 und 20 Jahren verkörperten die von der Bundestagsverwaltung erfundenen Politiker. Die ebenfalls fiktiven Parteien hatten dieselbe Größe wie ihre verwandten Originale. Die Teilnehmer durften sich während des Spiels im Reichstag frei bewegen. Um den parlamentarischen Alltag möglichst echt nachzustellen, begaben sich die Nachwuchskräfte zuerst in die Fraktionssäle, um den Fraktionsvorstand zu bestimmen, die Rednerlisten zu erstellen und die Ausschüsse zu besetzen. Stefan Hämmerle wurde der Rechtsausschuss zugewiesen, wo er sich mit der Frage nach einer allgemeinen Wahlpflicht beschäftigen musste. In den Ausschussräumen im Paul-Löbe-Haus wurden insgesamt vier Gesetzesentwürfe diskutiert, darunter auch die Einführung der PKW-Maut, eine Freistellung vom Beruf aufgrund eines Pflegefalls im engsten Familienkreis und die Einführung anonymisierter Bewerbungen. So galt es die persönliche Meinung hintenanzustellen und, für Stefan Hämmerle, der sozialistischen Sache zu dienen. Die allermeisten Spielteilnehmer waren Mitglieder der Jugendorganisationen der Bundestagsparteien. „In der PSG-Fraktion gab es auffallend viele JuLis, wobei der Fraktionsvorsitzende Sozialdemokrat war und sich daher nicht so weit verbiegen musste“, sagte Stefan Hämmerle. Die anschließenden Lesungen im Plenarsaal wurden von den Bundestagsvizepräsidenten geleitet.
Zwar trat Stefan Hämmerle nicht ans Rednerpult, doch unterbrach er durch Zwischenfragen die Reden zweier Kollegen aus der Fraktion der Christlichen Volkspartei, darunter die eines JU-Kollegen: Andreas Schildknecht, Schriftführer der JU Rems-Murr, war von Norbert Barthle nominiert worden und der „richtigen“ Fraktion zugeteilt worden. „Besonders witzig war die Zwischenfrage, die ich an meinen Parteifreund aus dem JU-Kreisvorstand gestellt habe. Natürlich vertrat er als CVP-Abgeordneter meine eigentliche Position. Da musste ich einfach von links eine kritische Zwischenfrage stellen“, sagte Stefan Hämmerle. Nicht nur Abgeordnete wurden von den jungen Spielteilnehmern verkörpert, sondern auch die Hauptstadt-Presse. Bei der veranstalteten Berliner Runde konnte sich die PSG-Fraktion nicht einigen, wer aus der Doppelspitze teilnehmen durfte und da zwei Politiker derselben Partei nicht zugelassen waren, verließen die Parlamentarier der PSG unter Protest den Raum. Zum Abschluss der Gesamtveranstaltung richtete Bundestagspräsident Norbert Lammert einige Worte an die Spielteilnehmer und bedankte sich für deren Engagement. „Es ist großartig, dass der Deutsche Bundestag jungen Leuten mit dieser Plattform die Chance gibt, mehr über politische Prozesse zu erfahren“, sagte Stefan Hämmerle.